Kollektiv – was ist das?

Typische Merkmale eines selbstorganisierten Unternehmens

Zu den typischen Merkmalen eines Kollektivbetriebs gehören neben einer basisdemokratischen Entscheidungsfindung ein egalitäres Gehaltssystem, gemeinsames Eigentum am Betrieb, Transparenz und eine weitestgehende Abschaffung von Hierarchien.

Entscheidungsfindung
Basisdemokratische Entscheidungsfindung ist ein Grundbestandteil jeglicher Selbstorganisation. In vielen Kollektiven werden Entscheidungen in Vollversammlungen oder Plena getroffen. Nicht selten wird im Konsensprinzip entschieden, damit sich alle wohlfühlen in sich niemand übergangen fühlt. Allerdings kann das Plenum auch als zentralistisch kritisiert und durch dezentralere Entscheidungsgruppen ersetzt werden. Das Konsensprinzip kann wiederum den status quo zementieren, wenn jede Veränderung per Veto verhindert wird. Dann wirkt es sich eher konservativ und innovationshemmend aus. Wichtig für eine hierarchiefreie Entscheidungsfindung in größeren Gremien ist auch, auf informelle Hierarchien, etwa durch dominantes Redeverhalten zu achten. Rechtlich werfen basisdemokratische Prozesse Fragen bezüglich der Haftung des Vorstandes oder der Geschäftsführung auf.

Gehaltssystem
Der sogenannte Einheitslohn ist typisches Merkmal vieler Kollektive. Ein gleicher Stundenlohn für alle drückt aus, dass jede Arbeit gleichwertig ist, jede Person gleichermaßen geschätzt und wichtig ist. Ein Restaurant, welches nicht geputzt wird, funktioniert ebenso wenig wie wenn niemand kocht, Zutaten bestellt oder sich um korrekte Buchhaltung kümmert. Gehalt ist in unserer Gesellschaft sehr eng verknüpft mit Status. Gehaltsunterschiede bewirken automatisch hierarchische Stufen. Paradoxer Weise werden jedoch gerade die langweiligen, extrem anstrengenden oder unangenehmen Arbeiten gering vergütet, während mit steigender Freiheit und Verantwortung das Gehalt steigt. Alternativ ließe sich sagen, dass Leitungsaufgaben diejenigen übernehmen sollen, die Lust darauf haben, nicht diejenigen, die mehr Geld benötigen. Nicht selten werden langjährige Mitarbeitende in einen Bürojob befördert, freuen sich über höheres Gehalt aber vermissen die eigentliche ausführende Arbeit.
Ein Problem mit dem Einheitslohn ist der unterschiedliche Marktwert von Arbeitskräften. Gerade hochqualifizierte SpezialistInnen, die bereits sind, zu einem Einheitslohn zu arbeiten, sind schwer zu finden, wenn sie auf „dem Markt“ weit mehr verdienen würden.

Gemeinsames Eigentum am Betrieb
Basisdemokratische Prozesse, nichthierarchische Prozesse und eine gleiche Entlohnung kommen auch in manchen innovativen Unternehmen vor, die dennoch einer oder wenigen Personen gehört. Damit hängen sie vom guten Willen der Unternehmensinhaber*innen ab und können jederzeit abgeschafft werden, so als könnte die Bundeskanzlerin alleine Entscheiden, ob sie die Demokratie noch länger behalten oder doch lieber zur Monarchie zurückkehren möchte. Eine wahre Demokratie versucht ihre eigene Abschaffung zu verhindern und ist im Unternehmen nur dann möglich, wenn dieses in Belegschaftshand liegt. Nur wenn die Mitarbeitenden zugleich die Eigentümer*innen des Betriebs sind, sind sie wirklich gleichberechtigt.
Im Gesellschaftsrecht geschieht dies dadurch, dass z.B. alle – oder zumindest alle, die wollen – Gesellschaftsanteile an der GmbH, der GbR, e.G. oder anderer Gesellschaftsform halten. Gemeinsames Eigentum hat insbesondere in der Genossenschaft den zusätzlichen Vorteil, dass „feindliche Übernahmen“ des Unternehmens erschwert sind. Zugleich erschwert es jedoch die Mitgliederwechsel.

Arbeitsteilung
Arbeitsteilung kann Hierarchien schaffen, z.B. die Trennung zwischen planenden und ausführenden Arbeiten. Viele Pionierkollektive versuchten daher in den 70er und 80er Jahren, Arbeitsteilung durch Rotation zu ersetzen. Alle waren mal zuständig für das Putzen und mal für die Buchhaltung. Auch in der neueren Managementlehre wird das Prinzip der job rotation hoch gepriesen: die Mitarbeitenden verstehen die Zusammenhänge der einzelnen Arbeitsschritte besser und sollen sich weniger langweilen. (Häufig konnte dadurch eine Leitungsebene eingespart werden.) Allerdings sind nicht alle gut in der Buchhaltung, den einen macht es mehr Spaß, den anderen weniger. Manche wünschen sich mehr Verantwortung, andere sind davon überfordert. Die Sekretariatsmitarbeitenden einer Kanzlei können nicht einfach mit den Anwält*innen die Aufgaben tauschen, ebenso wenig wie pflegerisches, ärztliches und Verwaltungspersonal im Krankenhaus. Dennoch bleibt die Frage, inwieweit – auch im Sinne von Transparenz und Basisdemokratie – Arbeitsteilung nötig ist oder durch andere Aufgabenverteilungen ersetzt werden kann. Auch für unternehmerisch gute Entscheidungen und erfolgreiches Wissensmanagement ist es notwendig, dass wichtige Entscheidungen nicht im Elfenbeinturm getroffen werden, sondern alle Betroffenen beteiligt werden.

Transparenz
Nicht nur im Staat, auch im Unternehmen setzt Demokratie Transparenz voraus: Nur wer gut informiert ist, kann auch gute Entscheidungen treffen, kann sich eine eigene Meinung bilden und nicht mit Scheinargumenten getäuscht werden. Werden Entscheidungen im Dunkeln getroffen, wächst die Gefahr von Fehlentscheidungen, Korruption und ihren Folgeschäden. Wie in der Politik ist auch die Lage eines Unternehmens jedoch komplex und nicht ganz einfach zu verstehen. Daher muss sich die Geschäftsleitung bemühen, Daten, Fakten und Pläne verständlich und nachvollziehbar aufzubereiten. Schulungen für Mitarbeitende können etwa bei der Bilanzanalyse helfen. Ein Unternehmen, welches das Gemeinwohl im Auge behält, hat viel weniger zu verheimlichen, als Unternehmen, die Umweltsünden, Ausbeutung, Betrug und Korruption zu verheimlichen haben. Hingegen kann ein Unternehmen durch Transparenz gegenüber der Belegschaft deren Schwarmintelligenz nutzen. Denn Transparenz ist nicht nur Voraussetzung für Demokratie sondern auch für ein erfolgreiches Wissensmanagement.

Typische Probleme selbstorganisierter Unternehmen

 Aufgabenverteilung
Gerade in basisdemokratisch organisierten Gruppen stellt sich die Frage, wer was macht. Eine gute Koordination ist daher für das reibungslose Funktionieren des Betriebs wichtig. Koordination schafft klare Aufgabenbereiche und verhindert, dass MitarbeiterInnen durch zu viel Eigenverantwortung überfordert sind. Denn Unsicherheit über die eigenen Aufgaben und darüber, was genau von jemandem erwartet wird, erzeugt unnötigen Stress.

Eine Person – eine Stimme
In einer Genossenschaft gilt der Grundsatz „Eine Person – eine Stimme.“ Das Stimmengewicht ist damit nicht von der Menge der gehaltenen Anteile abhängig. Wie bei Parlamentswahlen, ist das gleiche Stimmrecht auch hier demokratische Grundvoraussetzung. Es lässt sich jedoch nicht ganz einfach konsequent verwirklichen. So gilt es – etwa im Falle einer Genossenschaft – nur für die Mitgliederversammlung, nicht jedoch für Entscheidungen des Vorstands. Hier liegt ein Hauptproblem für Genossenschaften mit demokratischem Anspruch: die Mitgliederversammlung kann dem Vorstand keine Weisungen erteilen, § 27 Abs. 1 S. 1 Genossenschaftsgesetz. Helfen könnte hier nur eine Gesetzesänderung. Dagegen ist in einer GmbH eine weit gleichmäßigere Mitbestimmung aller Mitglieder möglich. Auch der Grundsatz „Eine Person – eine Stimme“ lässt sich in der Satzung einer GmbH verankern.

Geschäftsführung und Haftung
Je demokratischer Entscheidungen getroffen werden, desto mehr stellt sich die Frage, wer für Fehlentscheidungen haftet, wenn etwas schief läuft. So kann der Geschäftsführung etwa im Falle der Insolvenzverschleppung eine Gefängnisstrafe drohen. Die Haftungsfrage muss daher gut überlegt und geregelt werden, etwa durch klare Kompetenzverteilungen, Koordination und Monitoring.

Mitgliederwechsel
Mitgliederwechsel stellen Kollektive immer wieder vor Herausforderungen. Schwierig wird es zum Beispiel, wenn eine Person austritt, die viele Anteile am Unternehmen aber auch spezielles Fachwissen hat und nun ihr Wissen mitnimmt und eine hohe Abfindung verlangt. Solche Abfindungen können ein Unternehmen an den Rande der Existenz bringen. Daher ist es wichtig, hierfür im voraus gute Abfindungsregelungen zu finden und Mechanismen des Wissensmanagements zu implementieren. Auch entstehen durch Gesellschafterwechsel einige Kosten. Um diese Hürden zu umgehen, ist die Verlockung groß, neue Mitarbeitende nicht mehr zu gleichberechtigten Inhabern sondern lediglich informellen Kollektivmitgliedern zu machen. Dadurch wird die Gleichberechtigung und Teilhabe über die Jahre jedoch schleichend erodiert.

Unverkäuflichkeit durch Dachverband
Gerade jene selbstverwalteten Unternehmen, die wirtschaftlich am besten funktionieren, werden häufig aufgekauft von anderen Unternehmen oder Investoren. Dadurch gehen regelmäßig die besten Beispiele funktionierender Unternehmensdemokratie für immer verloren. Um dies zu verhindern sind Vorkehrungen zu treffen. Eine Genossenschaft ist etwa weit schwerer aufzukaufen als eine GmbH. Auch eine Holdingstruktur, die 50 % der Anteile am Unternehmen hält, kann den Verkauf verhindern. So ähnlich funktioniert beispielsweise das Mietshäuser Syndikat oder die Stiftung Trias.

KundInnen vs. Produzierende?
Interne Demokratie bezieht sich meist auf die Belegschaft. Es kann jedoch sinnvoll sein, auch die Seite der KundInnen mit einzubeziehen. Die Bewegung für die Rekommunalisierung der öffentlichen Grundversorgung hat ebenfalls einen demokratischen Anspruch, wenn sie etwa die Überführung der lokalen Wasserwerke in eine BürgerInnengenossenschaft fordert. Die Mitbestimmung richtet sich hier jedoch in erster Linie an die VerbraucherInnen, nicht die Belegschaft. Inwieweit beide Seiten mit einbezogen werden können ist daher im Einzelfall zu überlegen.

Arbeitnehmereigenschaft / Sozialversicherungspflicht
Sollen alle Mitglieder gleichberechtigt sein, kann es erwünscht sein, dass alle auch gleichermaßen sozialversichert oder alle selbstständig sind. Beide Fälle sind nicht ganz einfach handzuhaben.